Zeitmaschinen gehen anders
Zeitmaschinen gehen anders … in der Tat: Und zwar anders bei jedem Autor, denn jeder, der sich des literarischen Vehikels der Zeitreise bedient, muss – mangels belastbarer physikalischer Gesetzmäßigkeiten – erst einmal seine eigenen Regeln dafür festlegen.
Es gibt viele Gründe, über Zeitreisen zu schreiben, und die schiere Lust, die eigene Phantasie und die der Leser in vergangenen oder auch zukünftigen Epochen spazieren zu führen, ist nicht der schlechteste darunter. Doch egal, was der Grund ist, man steht immer vor dem Problem, ob man die Kausalität aufrechterhalten will, und wenn ja, wie: Das ist das berühmte Großvaterparadoxon. Was, wenn ich in die Vergangenheit reise und dort – und sei es aus Versehen – meinen Großvater töte, ehe er meinen Vater zeugen kann? Dann gibt es mich gar nicht, also kann ich auch nicht in die Vergangenheit reisen, folglich auch nicht meinen Großvater töten … also gibt es mich doch, und ich kann doch in die Zeitmaschine steigen … und so weiter, ad infinitum, ein unauflösbares Paradoxon.
Verschärfend kommt hinzu, dass die Kausalitäten unserer Welt überaus komplex verwoben sind und man in vielen Fällen nicht genau sagen kann, welche Ursachen welche Wirkungen zeitigen. Ja, nicht selten verlieren sich kausale Ketten in dem, was man mathematisch als Chaos bezeichnet: In China schlägt ein Schmetterling mit den Flügeln, und daraus mag sich ein Sturm über dem Atlantik entwickeln – oder auch nicht. Der zeitreisende Held reist vielleicht in die Zeit der Dinosaurier, scheinbar weit entfernt von allem, was mit der Geschichte der Menschheit zu tun hat, und erlegt und brät zum Abendessen ein kleines Tier – just jenes Tier, aus dem sich Millionen Jahre später die Primaten und schließlich die Menschen entwickelt hätten, die folglich nicht mehr da sind, wenn er in seine Gegenwart zurückkehren möchte: Sozusagen das Großvaterparadoxon de luxe.
In denjenigen meiner eigenen Romane, in denen Zeitreisen eine gewisse Rolle spielen, habe ich mich um diese Frage herumgemogelt, indem ich die Regel aufstellte, dass der Zeitablauf unabänderlich und selbst die Ankunft eines Zeitreisenden ein feststehender Teil davon sei. Das hieß, dass nur Dinge verändert oder beeinflusst werden konnten, über die nichts bekannt war – Erwin Schrödinger lässt grüßen.
Das konnte ich machen, weil in meinen Romanen die Zeitreise nur ein untergeordnetes Motiv war. In dem Buch jedoch, den Sie gerade in der Hand halten, geht Axel Kruse sozusagen hardcore: Die Zeitreise an sich ist hier das zentrale Thema, alles dreht sich um die Frage, wie sich die Geschichte durch Zeitreisende verändern ließe – und vor allem, wie sie sich so verändern ließe, wie man sie gerne haben möchte.
Das ist anspruchsvoll. Das ist richtig anspruchsvoll. Und sorgt für jede Menge Überraschungen und unerwarteter Wendungen.
Bringen Sie also Ihre Phantasie auf Betriebstemperatur, ehe Sie umblättern, und machen Sie lieber noch ein paar Dehnübungen mehr mit dem Was-wäre-wenn-Muskel Ihres Geistes – Sie werden ihn brauchen!
– Geleitwort von Andreas Eschbach