Geleitwort Joaquins Bar
So, wie man in eine Bar geht, um einen netten Abend zu haben, so können wir mit gleicher Absicht Axel Kruse auf dem Weg in Joaquins Bar begleiten. Die Spannung der manchmal schier unglaublichen Geschichten aus dem Munde von Wirt Joaquin oder einem seiner Gäste bringt dann das, was man von einer Bar erwarten darf: Entspannung nach einem harten Tag.
Wenn wir dem Autor folgen und uns mit ihm an die Theke der kleinen Bar im Örtchen Kettwig begeben, können wir uns immer auf eine Überraschung gefasst machen.
Eigentlich kein Wunder, denn in dem ehemals selbstständigen Städtchen mit seinen Fachwerkhäusern, verwinkelten Gassen und Treppen (eine davon führt zu Joaquins Bar), durch das die Ruhr gemächlich fließt, nachdem sie einen Stausee durchquert hat, da sind sie zuhause: Die Kosmopoliten, die alle Welt bereisen und nach ihrer Rückkehr in den Kettwiger Kneipen tatsächlich interessante Geschichten zu erzählen haben.
Da sind aber auch die Sagen aus alter Zeit immer noch zugegen. Die Mär von den Raubrittern etwa, die eine eiserne Kette über den Fluss spannten und so Handelsschiffe überfielen. In weiser Voraussicht hatten sie einen Fluchttunnel, der unter der Ruhr verlief und der immer mal wieder in der Neuzeit „beinahe“ von Heimat-Historikern gefunden wurde, sich bis heute jedoch seiner wirklichen Entdeckung gekonnt entzieht. Und auch die fauchende Katze mit den glühenden Augen und den scharfen Krallen, die eine goldene Spindel und anderes Raubgut bewacht, ist noch nicht von ihren Schätzen vertrieben worden.
Mit seiner romantischen Altstadt am Fluss und den zahlreichen Schlössern und Burgen, mit seinen Sagen und Geschichten, mit der benachbarten Sternwarte und den sternklaren Nächten am dunklen Flussufer oder den umgebenden Wäldern bietet Kettwig also den idealen Nährboden für die Phantasie eines Autors, der hier aufgewachsen, zur Schule gegangen ist.
Das war die Szenerie, in der Axel Kruses Vater Hans-Joachim, dem dieses Buch gewidmet ist, seinen Sohn schon früh in Kontakt mit phantastischen Erzählungen brachte, die Neugier sowie das Verlangen förderte, sich zu den Dingen eigene Gedanken zu machen. Wie man sieht, ist es gelungen.
Axel Kruse ist nicht nur ein sehr kreativer, sondern vielleicht auch ein etwas ungeduldiger Autor, dem die Muse mit ihrem zärtlichen Kuss Einfall um Einfall zuflüstert, die der Schriftsteller dann schnellstens in seinen Erzählungen verarbeiten muss.
Und vielleicht wählt er deshalb die Erzählform der Kurzgeschichte? Weil Kruse so schnell auf den Punkt kommen, seine Geschichte ohne Umschweife entwickeln kann?
Das mag sein Geheimnis bleiben, doch offensichtlich ist, dass Axel Kruse seine Leser immer wieder verblüfft. Was ja eine Lieblings-Eigenschaft von Kurzgeschichten ist.
Da ist einmal die Bandbreite seiner Themen, die vom 30-jährigen Krieg bis zum Atomunfall in Japan, von der Zeitreise bis zur Fahrt mit der U-Bahn reicht, wo eigentlich keine sein dürfte.
Dann ist da das Unvermögen des Lesers, Kruses Geschichten und ihren Verlauf, ihr Ende gar, vorher zu sehen. Immer wieder gibt es unerwartete Wendungen, etwa wenn eine Literaturagentin den Schreiber bittet, seiner Buch-Heldin statt des banalen Endes ein Weiterleben zur Freude ihrer Fans auf den Leib zu schreiben… wie gerne hätte er es getan.
Und glauben Sie nicht, dass Sie die Kruse-Storys so schnell lesen können, wie sie der Autor zu schreiben scheint (in Wirklichkeit ist ja die Komposition einer „Short-Story“ wohlgeplante, intensive Arbeit, die Truman Capote als die schwierigste aller Prosaformen bezeichnete).
Denn: Kruses Geschichten haben eine eingebaute „Verzögerung“. Sie lassen Fragen offen. Da können sie nicht einfach weiterlesen, zur nächsten Erzählung wechseln.
Indem Sie diese Spannung auflösen, finden Sie Entspannung. Viel Spaß dabei.
Wolfgang Hollender