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Geleitwort Astrominc

Axel Kruse ist der nicht man ganz junge Verfasser dieses sympathisch altmodischen Science-Fiction-Romans. Wo hat man zuletzt lupenreine SF gelesen und wo die Härte der kosmischen Strahlung beim Lesen auf der Gänsehaut gespürt? Viel zu viele Schriftsteller der nachwachsenden Generation haben sich auf undurchsichtige Genrehybriden verlegt – auf SF, die mit Horror-, Geschichtsroman- oder Thrillerelementen durchsetzt ist. Nicht so der SF-Purist Kruse.

Vor über zehn Jahren machten mich mehrere verstreut publizierte SF-Erzählungen auf ihn aufmerksam. Er schien über die in SF-Kreisen ziemlich seltene Fähigkeit zu verfügen, die Zahl seiner Einfälle zu beschränken und die Handlung geradlinig durchzuführen. Seither habe ich seinen schriftstellerischen Weg lose mitverfolgt, und in der langen Zeit haben wir einige wenige Briefe ausgetauscht – zunächst auf Papier, mittlerweile elektronisch.

Axel Kruse schrieb mir einmal, als es um eine noch zu verfertigende Geschichte ging, Inhalt und Ablauf seien ihm schon völlig klar. Diese und ähnliche Bemerkungen machte er öfter. Ich halte das für beneidenswert, denn tatsächlich wird man nie finden, dass sich Kruse in seinen Handlungsfäden verfängt. Er muss über ein gutes Gedächtnis verfügen – und über ein inneres Ordnungssystem, denn die »Daten« und Züge seiner Geschichten scheinen ihm abrufbereit vorzuliegen. Die Ergebnisse dieser Arbeitsweise lesen sich entsprechend: satzstilistisch konservativ, non-experimentell, vor allem in der Abfolge der Absätze folgerichtig, präzis und hell. Die Geschichten bewegen sich zwingend auf das Ende zu, dass man als Lesender gar nicht anders kann, als den Geschehnissen gebannt zu folgen.

Dabei sind die Erzählungen alles andere als prall mit Action gefüllte Reißer. Lieber lässt sich Kruse ordentlich Erzählzeit damit, sich dem Kern der Erzählung zu nähern. Die Absicht ist klar: Alles soll so deutlich wie möglich vor dem inneren Auge des Lesers auftauchen.

Seine Beschreibungen sind detailversessen. Das ist normalerweise tödlich für eine Erzählung, nähren sich doch gerade die verhassten Adjektive von ebendieser Detailversessenheit. Stephen King gibt in seiner teilweise ziemlich lustigen Schreibanleitung »On Writing« den Tipp, alles in Handlung umzusetzen. Das ist natürlich der reinste Dogmatismus – was hat der Mann nur gegen eine gute Beschreibung? Die europäische Literatur ist voll davon.

Axel Kruse umschifft die »adjektivischen Ballungen« nicht, er steuert genau darauf zu, aber ohne sich in Nebensächlichkeiten zu verlieren – abgefasst in einem erstaunlich gut lesbaren Nominalstil. Er beweist damit, dass es manchmal besser ist, dem Leser in ein paar dramatischen Hauptsätzen die Grundlage der Story fast grobianisch auseinanderzusetzen – anstatt Anfangsgags mit künstlicher Action zu ersinnen.

Kruse bildet mit seiner an den Idealen des realistischen Romans geschulten Schreibweise ein wohltuendes Gegengewicht zu postmodernen Strömungen in der SF. Hektische Szenewechsel, Jargon und brutal anmutende Abkürzungen der Handlung (mit dem Argument, jedes SF-Klischee sei doch sowieso schon bekannt) sind seine Sache nicht. Auch inhaltlich lässt Kruse die Kirche im Dorf. Anders als im Cyberspace oder in den drogenvernebelten Exkursionen der Endsechziger dürfen wir sicher sein, dass Kruse ein Raumschiff meint, wenn er von einem Raumschiff spricht – und keine Simulation oder Halluzination.

Diese ersten Einschätzungen mögen verdeutlichen, dass Kruse in der Geschichte des Genres weit zurückgreift. Hinter den Cyberpunk der Achtziger, die soziologisch und politisch motivierten Ausflüge der Siebziger und den psychedelischen InnerSpace der Sechziger.

Kruses Kosmos ist traditionell. Seine SF spielt vorzugsweise dort, wo sich SF nach allgemeinem Verständnis abspielen sollte: im Weltraum und auf fremden Planeten. Einmal sagt einer seiner Protagonisten, jener Kapitän Schappner, er habe keinen Hang zum Irrationalen. Und das gilt wohl auch für den Autor, der in diesem Roman nur einigermaßen Vernünftiges anspricht, aber nicht das geringste Interesse an einem beliebig konstruierbaren Multiversum oder einer Zeitreise und derlei mehr zeigt. Und wenn doch, so wird die Zeitreise gleich als Lüge entlarvt. Kontrollierte Fantasie!

Kruse ist technophil, aber nicht in der pedantisch übertriebenen Weise eines Schraubenzählers. Seine geschickten Schilderungen karger Raumschiffatmosphären dienen dazu, eine total-funktionale Ästhetik zu transportieren, die auf alle Lebensbereiche ausgreift und natürlich auch eine hochfunktionale Befehlshierarchie umfasst.

Im Zusammenspiel mit der meist dialektischen Konfliktdarstellung (erst die Guten – dann die Bösen – zuletzt eine Partnerschaft) und über die Länge eines Romans wirkt Kruses SF-Purismus schematisch, unterkühlt und ziemlich streng – ohne jedoch angestrengt oder »artifiziell« zu wirken. Wir Lesende können uns an diesen klaren Formen der Gegenstände und an den nicht minder klaren Formen des Umgangs noch immer berauschen.

Aber es geht um mehr. Schematismus ist kein Verbrechen, auch in Sachen Handlungsführung nicht, sondern eine Tugend! Man sollte nämlich nicht vergessen, dass jede erzählende Literatur (wegen der begrenzten Zahl der Sätze, die man für eine Sache verwendet) immer nur eine begrenzte Auswahl von Ansichten der Dinge bietet – und deshalb in jedem Fall einen Schematismus aufweist. In einem SF-Roman wie diesem, der tausend Jahre in der Zukunft spielt und in dem eine riesige Menge an geschichtlicher, technischer und soziologischer Information zu transportieren ist, ist ein gewisses Maß Schematismus sogar die einzige Möglichkeit, um den Leser nicht in völlige Verwirrung zu stürzen.

Der Umgang der Figuren miteinander, auch über Speziesgrenzen hinweg, ist liebenswürdig. Selbst in einer angespannten Situation entfährt dem Kapitän kein Fluch. Alle Charaktere wirken nach der einen oder anderen Seite hin idealisiert, aber ein konservativ geschriebener SF-Roman ist auch kein Ort für naturalistische Schreibübungen. Die gewöhnlichen Gestalten und mehr noch die Führungspersönlichkeiten Kruses erinnern an historische Vorbilder – beispielsweise an James Cook, der zwar hart regierte, aber niemals die Fassung verloren haben soll. Wie überhaupt zahlreiche Kruse-Motive an die Erfolge und Misserfolge früher Entdeckungsreisen gemahnen.

Kruses Männer und Frauen erobern wenig, erforschen aber viel. Diese Grundkonzeption mag weniger der realen Vorlage der seefahrenden Entdecker geschuldet sein als vielmehr den stark auf den Text einwirkenden Genrevorbildern.

Kirks Enterprise stand offenbar ebenso Pate wie Perry Rhodan.

Kruses Kosmos ist zeitlich wie räumlich gigantisch. Entwicklungen erstrecken sich gerne einmal über fünfzigtausend Jahre, und trotz einer überlichtschnellen Technologie liegt Mutter Erde weit entfernt: Flugdauer einige Jahre – auch dies eine Dimension, wie sie für frühe Entdecker zu Lande und zu Wasser üblich war! Aber er teilt nicht die gedanklich krause Gigantomanie eines A. E. van Vogt, allenfalls die Vorliebe, eine lange Geschichte episodenhaft abrollen zu lassen – nicht umsonst ist Kruses Roman eine fixed up novel.

In den kurzen Episoden erzählt Kruse pointiert vom Menschlichen und Allzumenschlichen, Anekdoten, wie sie der Weltraum einmal schreiben wird.

Die längeren Kapitel mit ihren spannungs- und wendungsreichen Vordergrundhandlungen sind für meinen Geschmack eindrucksvoller. In ihnen erscheint der kosmische Hintergrund, aus dem heraus eine geheimnisvolle Superrasse die Fäden zu ziehen scheint. Manchmal tritt der Hintergrund so klar hervor, dass man meint, er sei der eigentliche Akteur des Romans.

Kruse bedient sich zweier Tricks, um seinen großen Kosmos zu bändigen. Er hat sein Universum räumlich gequantelt und es ziemlich alt gemacht. Man kann es nur entlang diverser Sprungstellen bereisen. Dadurch entstehen an Geschichte hoch angereicherte Orte neben geschichtlich windstillen Ecken. Die Erde ist so ein Ort lange Zeit gewesen.

Die Menschheit ist dann, erfahren wir, expandiert, hält inzwischen ein Imperium mit Hunderten von Kolonien und trifft doch nur – wie seinerzeit Napoleon auf dem Russland-Feldzug – auf leere und verlassene Orte.

Muss es nicht auch so sein, fragen wir uns mit Kruse, dass die Menschheit erst auf den Plan tritt, wenn das Schauspiel längst vorüber ist?

Bei aller Neugier bewegen sich Kruses Leute vorsichtig und leise. Sie müssen so handeln, weil sie wissen, dass etwas auf dem Spiel steht, aber leider nicht was.

Kruse Kosmos bevölkern nur wenige noch aktive Außerirdische. Die Hauptbühne ist bemerkenswert leer, das universale Theater pausiert gerade, aber im musealen Staub der Bühnenbretter zeichnen sich noch Spuren der einstigen Akteure ab. Da sind vor allem die als galaktische Konservatoren auftretenden Springer, aber auch manche Völker auf den Nebenschauplätzen, deren Tausendjahrespläne sich nach Tiefschlafphasen in Luft aufgelöst haben.

Dichtungslogisch ergibt sich daraus, dass sehr viele Details der früher ablaufenden Geschichte dialogisch vermittelt werden. Zumal Kruse linear erzählt und sich keine Rückblenden zugesteht. Dass die informativen Dialoge keinen trockenen Referatscharakter annehmen, liegt daran, dass Kruse sie mit Hinterlist und Lüge, politischem und militärischem Kalkül würzt. Nicht alles, was erst einmal von den Leuten behauptet wird, ist wirklich wahr. Und passt das nicht herrlich zur Doppelnatur der hier allerorten waltenden »Liebenswürdigkeit«? Doch gegen Ende der einzelnen Episoden klärt Kruse beinah jede Frage, darunter zu unserer Überraschung auch einige, die wir Leser nicht gestellt haben.

Mag es einen wirklich wundern, dass im Jahr 3000plus undichte Raumanzüge und penetrant leuchtende Druckknöpfe noch immer eine tragende Rolle spielen? Nein, denn das ist Absicht! Noch einmal heißt es bei Kruse »Öffnet den Himmel« (wie ein Titel von Robert Silverberg lautet). Und noch einmal feiert er die enthusiastischen Momente der bereits historisch gewordenen realen Weltraumära und die damit verbundenen Erwartungen – im Rahmen eines Science-Fiction-Romans.

Frank Neugebauer

Autor von »Die Nelke im Knopfloch«