Von Timo Matys
Wer Familiengeschichte schreibt, schreibt auch ein Stück eigener Geschichte. Und wie jede Geschichtsschreibung eine Projektion gegenwärtiger Bedürfnisse und vergangener Erfahrungen in die Vergangenheit hinein ist, so trifft dies auf das vorliegende Büchlein gleich im doppelten Sinn zu. Die Erfahrungen meines Urgroßvaters wurden zu Papier gebracht in der Absicht, seine Vergangenheit zu glorifizieren und seinem unersättlichen Geltungsbedürfnis auch nachfolgende Generationen Rechnung tragen zu lassen. In diesem Sinne hatte er Erfolg. Der vorliegende Lebensbericht taugt deswegen vor allem als historische Quelle. Er zeigt aber vor allem auch, welche Spuren Egoismus, Eigendenken und Überheblichkeit in den nachfolgenden Generationen anrichten können. Er zeigt auch, welche Wunden der Krieg bei Menschen hinterlässt und wie diese Wunden von Generation zu Generation weiterleben.
Wir können die Vergangenheit nicht mehr beeinflussen, wir können aber unseren Umgang mit ihr beeinflussen. Diese Einsicht fehlte früheren Generationen oft. So hätte man sich beispielsweise wünschen können, dass meiner Urgroßmutter therapeutischer Beistand zuteil geworden wäre oder dass mein Großvater nicht die ganze, lange Zeit seines Lebens über den Missbrauch seiner Mutter geschwiegen hätte.
Viel interessanter als der eigentliche Lebensbericht dürften deswegen die Schilderungen der Nachkriegsumstände sein. Vielleicht finden einige Leser ja Vergleichbares in ihrer eigenen Familiengeschichte oder vielleicht fühlen sich Angehörige gerade der jüngeren Generationen durch die vorliegende Schilderung veranlasst, einmal selbst zu überlegen, welche Spuren der Krieg in ihrer Verwandtschaft hinterlassen hat. Das Ziel aber sollte es nach der Lektüre dieses Buches doch sein, die aus der Vergangenheit gelernten Lektionen derart anzuwenden, dass sich die Fehler der Vergangenheit nicht in der Zukunft wiederholen. Welche Lektionen dies sind, kann wohl jeder nur für sich selbst beantworten.